IGaDTools4MINT
Gender und Diversity Mainstreaming Toolkit für den Informatikstudiengang
Ausgangslage
Trotz umfangreicher Forschung und darauf aufsetzender Modellprojekte und Förderprogramme, die darauf abzielen, in den so genannten MINT-Fächern, das heißt Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, die Frauenanteile zu erhöhen und die Abbruchquoten in diesen Bereichen zu senken, stagniert die Zahl der Frauen in technischen und naturwissenschaftlichen Studiengängen. Aufbauend auf der bestehenden Forschung und der Analyse und Zusammenschau bundesweit durchgeführter Best Practice-Maßnahmenbeschäftigte beschäftigte sich das Projekt IGaDtools4MINT vor diesem Hintergrund mit dem Ziel, ein Gesamtkonzept zu entwickeln, über das der Anteil von Frauen in MINT-Fächern nachhaltig erhöht werden kann.
Konzept
In Anlehnung an das renommierte Hochschulprojekt der amerikanischen Carnegie Mellon University, kurz CMU, wurde an der RWTH Aachen ein hieraus inspiriertes Projekt initiiert. Das Projekt an der CMU wurde Ende der 1990er Jahre im Fachbereich Informatik durchgeführt und erzielte eine signifikante Steigerung des Frauenanteils von 8 Prozent der Studienanfängerinnen und -anfänger im Jahr 1995 auf 42 Prozent im Jahr 2000. Ermöglicht wurde dieser Erfolg durch einen kohärenten Maßnahmenkatalog, der primär sowohl auf eine gendergerechte Lehre, in Bezug auf Didaktik und Inhalte der Informatik, als auch auf eine Öffnung der Fachkultur abzielte.
Ein wesentliches Ergebnis des beschriebenen Vorhabens ist ein Gender- und Diversity-Toolkit, welches Handlungsleitlinien sowie Umsetzungsstrategien und -methoden für Hochschulen bereithält, die den Anteil an jungen Frauen und weiteren bislang von den MINT-Fächern eher ausgegrenzten Zielgruppen erhöhen und so zu einem Paradigmenwechsel im MINT-Bereich beitragen kann.
Das Projekt fußt konzeptionell auf einem Diversity-Ansatz, der die Strukturkategorie Geschlecht innerhalb weiterer Differenzkategorien vorrangig berücksichtigt, dabei jedoch die Gruppe der Frauen und die Gruppe der Männer nicht als jeweils homogen auffasst. Vielmehr berücksichtigt das Projekt die Vielfalt innerhalb der Geschlechtergruppen, die sich aus weiteren Differenzkategorien ergeben. Für den Hochschulkontext sind dabei unter anderem die soziale Herkunft und die ethnische Zugehörigkeit von besonderer Bedeutung.
Vorgehensweise
Die Vorgehensweise des vorliegenden Projektes teilt sich in die folgenden sieben Forschungs- und Umsetzungsphasen:
- Analyse von Projekten und Fachliteratur im Bereich „Integration von Gender in MINT-Fächer“
- Screening des Fachbereiches Informatik an der RWTH Aachen mit all seinen Statusgruppen
- Konzeptionsphase von handlungsbezogenen Instrumenten zur Schaffung von Gender-Gerechtigkeit in einem Studienfach
- Einsatz der entwickelten Instrumente zur Etablierung von Gender-Gerechtigkeit im Fachbereich Informatik an der RWTH Aachen
- Untersuchung und Analyse der durchgeführten Maßnahmen in Bezug auf die Zielerreichung (Post-Screening) sowie Präsentation der bisherigen Ergebnisse auf einem Symposium mit Vertreterinnen und Vertretern der TU9-Universitäten
- Abschließende Gesamtevaluation und Konzeption eines Transferkonzeptes auf andere Fachbereiche und Hochschulen
- Implementierung des Transferkonzeptes an der TU9-Universität Berlin mit Perspektive einer sukzessiven Übertragung des Konzeptes an weiteren TU9-Universitäten sowie Abschluss-konferenz in Berlin
Literaturanalyse
Die Literaturanalyse wurde in Form einer systematischen Recherche regionaler, gesamtdeutscher sowie internationaler themenspezifischer Literaturdatenbanken und Bibliothekskataloge durchgeführt, die das zur Verfügung stehende Literaturangebot nahezu vollständig abdecken. Im Vorfeld wurde ein Schlagwortkatalog erarbeitet, aus welchem die für das Forschungsthema zentralen Suchbegriffe abgeleitet wurden. Um ebenfalls internationale Forschungsbeiträge in die Literaturanalyse zu integrieren, wurde die Literaturrecherche sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache durchgeführt.
Screening
Im nächsten Projektschritt, der Screening-Phase, dienten die zusammengestellten Indikatoren als Grundlage für sämtliche Evaluationsinstrumente. Die Indikatoren wurden als Orientierungspunkte dafür herangezogen, beurteilen zu können, inwieweit diese auf verschiedenen Ebenen des Fachbereichs Informatik an der RWTH Aachen angesprochen werden. Die Ergebnisse der Screening-Phase gaben wichtige Hinweise darauf, in welchen Bereichen Maßnahmen im Rahmen des Projektes entwickelt und umgesetzt werden können.
Förderkonzept
Auf Basis der an der RWTH durchgeführten Untersuchungen wurde ein vierstufiges Förderkonzept entwickelt, welches an dieser Stelle kurz beschrieben wird:
Stufe 1: Schülerlabor Informatik
Ziel der Angebote des „InfoSphere“, des Schülerlabors für Informatik ist es, frühzeitig ein realistisches Bild der Informatik zu vermitteln, um so Studienabbrüche zu verringern. Außerdem werden hier die Vernetzung und die Kooperation zwischen Schulen und Hochschulen gestärkt.
Stufe 2: Vorkurs Informatik
Der Vorkurs Informatik hat in erster Linie die Funktion, den fachlichen Einstieg in die Universität zu erleichtern, da der Übergang zwischen Schule und Hochschule für Studierende häufig als schwer empfunden wird. Durch positive und motivierende Erfahrungen soll hier entgegengewirkt, aber auch das Interesse an Informatik bestimmt werden. Zudem werden die Studierenden zeitnah auf einen möglichst einheitlichen Wissensstand gebracht.
Stufe 3: Handlungsfelder in den ersten Semestern
Die Konzeption der Maßnahmen in dieser Stufe bezieht sich auf die Struktur der Grundvorlesungen in den ersten beiden Semestern. Hierbei werden Inhalte punktuell aufgegriffen, inter- und intradisziplinär verknüpft und in einen praxisnahen Anwendungskontext gestellt. Das Angebot schließt unmittelbar an den Vorkurs Informatik an und vervollständigt somit eine kontinuierliche Förderung in der Studieneingangsphase.
Stufe 4: Verstetigung von Gender- und Diversity-Aspekten in der Hochschullehre
Der Fokus dieser Stufe liegt auf den Lehrenden. Durch die Schulung von Gender- und Diversity-Kompetenzen soll ein Bewusstsein für Verbesserungen und Anknüpfungspunkte in diesem Bereich geschaffen werden. Auf lange Sicht sollen so Gender- und Diversity-Aspekte in die Fachkultur der Informatik einfließen.
Transfer
Die an der RWTH Aachen gewonnenen Erfahrungen wurden in einem abschließenden Projektschritt soweit wie möglich an die TU Berlin übertragen. Es galt dabei herauszufinden, welche Elemente ortsunabhängig auch an weitere Hochschulen übertragen werden können, um für einen nachhaltigen Anstieg von Studentinnen und weiteren unterrepräsentierten Studierendengruppen in der Informatik zu sorgen. Denn auch innerhalb einer Fachdisziplin kann es von Hochschule zu Hochschule Unterschiede in der Kultur und im Habitus geben, die einen Einfluss auf die im Projekt entwickelten und umgesetzten Maßnahmen nehmen können und andere Anforderungen an diese stellen. So wurde in den Projektphasen 6 und 7 zum einen der Transfer der Projektergebnisse beispielhaft an die TU Berlin konzipiert und durchgeführt. Zum anderen wurde auf Basis dieser Erfahrungen ein Transferkonzept für die Übertragung des entwickelten Toolkits auf weitere Fachbereiche und Hochschulen erarbeitet.
Evaluation
Die Beurteilung der im Projekt IGaDtools4MINT erzielten Ergebnisse fällt in der Gesamtschau des Erreichten überaus positiv aus. Das im Vorhaben zu entwickelnde Toolkit von Maßnahmen für eine stärkere Öffnung des Informatikstudiums sowie weiterer MINT-Fächer und eine Verbesserung der gender- und diversity-gerechten Gestaltung derselben zeigte sich zweifellos als erfolgreich.
Der Kern des in der Projektstruktur angelegten Entwicklungs- und Erprobungsprozesses gewährleistet, dass die im Toolkit entwickelten Maßnahmen im Rahmen mehrerer Durchläufe und Korrekturschleifen an der RWTH Aachen als auch an der TU Berlin immer wieder intensiv erprobt, mehrfach modifiziert und iterativ verbessert wurden, eine sehr hohe Qualität und Passgenauigkeit. Die kontinuierliche Evaluation und Anpassung des Maßnahmenbündels sind die Garanten für seine Qualität. Insofern kann der Prozess der Weiterentwicklung nie als abgeschlossen angesehen werden. Insbesondere bei der Übertragung der Maßnahmen an weitere Hochschulen ist eine individuelle Anpassung an die spezifischen standortbezogenen Zielgruppen und strukturellen Voraussetzungen unerlässlich.